Frankfurt/Main (dpa) – Europas Währungshüter halten sich angesichts eingetrübter Konjunkturaussichten alle Optionen offen. Die Unsicherheit über die künftige wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum sei gestiegen, sagte EZB-Präsident Mario Draghi. «Die Liste ist ziemlich lang.» Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession beurteile der EZB-Rat jedoch als gering. Internationale Konflikte bremsen den Welthandel, das chinesische Wirtschaftswachstum fiel im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit fast drei Jahrzehnten, es droht ein ungeordneter Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Hinzu kommt das Risiko wachsender wirtschaftlicher Abschottung einiger Länder. Draghi bekräftigte, die Notenbank verfüge über zahlreiche Instrumente, um im Krisenfall gegenzusteuern. Den Leitzins im Euroraum beließ der EZB-Rat bei seiner ersten Sitzung im neuen Jahr auf dem Rekordtief von null Prozent. Banken erhalten somit frisches Geld bei der Notenbank weiterhin zum Nulltarif. Bis die Zinsen wieder steigen, könnte es nach Einschätzung einiger Volkswirte bis ins nächste Jahr dauern. «Zwar ist absehbar, dass eine erste Zinserhöhung angesichts der schwächeren Konjunktur auf das Jahr 2020 verschoben wird. Auf anderen Gebieten wird die EZB jedoch wichtige Detailentscheidungen treffen müssen», mahnte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Ökonomen der DZ Bank äußerten sich zuletzt skeptisch: «Angesichts der verhaltenen konjunkturellen Dynamik sollte auch der grundlegende Preisdruck in der europäischen Wirtschaft weiter schwach ausgeprägt bleiben. Dies dürfte die Bestrebungen der EZB, zur geldpolitischen Normalität zurückzukehren, weiter verzögern oder sogar ganz im Keim ersticken.» Für Sparer ist das Zinstief bei steigender Inflation bitter. Sparbuch und Co. werfen kaum noch etwas ab. Solange die Teuerungsrate nahe der Nulllinie dümpelte, glich sich das in etwa aus. Bei wieder steigenden Verbraucherpreisen verlieren Sparer unter dem Strich aber Geld. Im Dezember schwächte sich die Inflation im Euroraum allerdings etwas ab: Die Verbraucherpreise lagen nach Eurostat-Berechnungen um 1,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Damit fiel die Teuerung auf den tiefsten Wert seit April. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an. Dieser Wert gilt als weit genug entfernt von der Nullmarke. Dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise könnten Unternehmen und Verbraucher dazu bringen, Investitionen aufzuschieben – das könnte die Konjunktur bremsen. Mit ihrer Geldflut will die EZB der Konjunktur in den 19 Euroländern auf die Sprünge helfen.
Hartnäckig halten sich Spekulationen, die EZB könnte Geschäftsbanken – wie in den vergangenen Krisenjahren mehrfach geschehen – erneut langfristige Kredite zu extrem günstigen Konditionen anbieten (TLTRO), um die Lage zu stabilisieren. Der Rat habe dazu noch keine Entscheidung getroffen, sagte Draghi.
Vielen Instituten würde es allerdings schon helfen, wenn sie nicht mehr 0,4 Prozent Strafzinsen für bei der EZB geparktes Geld bezahlen müssten. Doch dieses Niveau bleibt zunächst unverändert.
Frische Milliarden in Staats- und Unternehmensanleihen will die EZB vorerst nicht stecken. Allerdings werden die Gelder aus auslaufenden Papieren zunächst wieder investiert. Seit Beginn der Anleihenkäufe im März 2015 bis Ende 2018 hat die EZB Wertpapiere im Volumen von rund 2,6 Billionen Euro erworben.